Juni 1979: Die MD/AL wurde gegründet
Die „Murrhardter Demokraten/Alternative Liste“ (MD/AL) wurde im Jahr 1979 gegründet und erlangte ein Jahr später mit 13,4% und drei Gemeinderatsmandaten eines der ersten zweistelligen Wahlergebnisse einer Alternativen Liste in der Bundesrepublik. Die seit 1980 im Gemeinderat Murrhardt vertretene Gruppierung geht auf erste theoretische Überlegungen des Jahres 1977 zurück, als zeitgleich mit dem Entstehen einer alternativen Stadtzeitung die Notwendigkeit einer politischen Alternative in den kommunalen Gremien erörtert wurde. Konkret wurde es im März 1979 mit der Gründung eines „Arbeitskreises Alternative Liste“. Die Gründung unter dem Namen MD/AL erfolgte schließlich Anfang Juni 1979 – einige Monate vor dem Entstehen der grünen Partei. In dem lange diskutierten, etwas holprigen und heute noch immer verwendeten Namen kommt der durchaus mühsame Findungsprozess der beteiligten Akteure zum Ausdruck. Es war der Name eines Bündnisses, das anfangs nicht leicht zu schließen war. Während auf der einen Seite Aktivisten des Jugendzentrums und der alternativen Stadtzeitung „Podium“ standen, befanden sich auf der anderen Seite eher konservative Akteure der „Bürgeraktion Umgehungsstraße“, einige Umweltaktivisten und Naturkostler, sowie „erste Abtrünnige“ von SPD und FDP. Da in Baden-Württemberg aufgrund juristischer Auseinandersetzungen um die unechte Teilortswahl die für Herbst 1979 vorgesehenen Gemeinderatswahlen im gesamten Land um ein Jahr verschoben wurden, zog die Liste erst 1980 erstmals in den Murrhardter Gemeinderat ein.
Dass die MD/AL 1980 gleich mit respektablen 13,4% und drei Mandaten ins Rathaus einzog, hat zu tun mit den bereits knapp zehnjährigen Aktivitäten der wichtigsten Akteure in unterschiedlichen Initiativen, vor allem aber mit einen ersten erfolgreichen Bürgerentscheid zum Thema „Bürgerhaus“ am 01.Juni 1980 in Murrhardt.
Der parlamentarische Einstieg: die MD/AL als fundamental-oppositionelle Kraft
Obwohl nach dem erstmaligen Einzug ins Kommunalparlament eine Zusammenarbeit mit der SPD zu linken Mehrheiten geführt hätte, blieb die Gruppe im Zeitraum zwischen 1980 und 1993 am Ratstisch ausgegrenzt. Die alten Gruppierungen ließen die Störenfriede spüren, dass sie unerwünscht waren. Die meisten Anträge der MD/AL wurden abgeschmettert. Allerdings wurden manche davon Jahre später mehrheitsfähig.
Außerordentlich vielfältig waren die Aktivitäten außerhalb des Gemeinderates. Mit der Anmietung von Räumlichkeiten für ein alternatives politisches Zentrum Namens “Wespennest” war 1982 – zeitgleich mit der Entwicklung der Friedensbewegung zur Massenbewegung – der Höhepunkt außerparlamentarischer kommunaler Gegenmachtbildung erreicht. Ein Kreis aus Friedens-, 3. Welt- und Umweltgruppen, den Grünen, dem Jugendzentrum, der alternativen Stadtzeitung, bis zu drei unterschiedlichen Frauengruppen, Jugendzentrum und Stadtjugendring war in vielen Punkten mit der MD/AL bündnisfähig. Vorstöße zu neuen Formen der Bürgerbeteiligung, sowie eine kontinuierliche Bürgerberatung waren neue Formen der Kommunalpolitik in Murrhardt.
Örtliche Themenstellungen waren es, die die geschlossene Ausgrenzungspolitik der beiden damals gleich großen Parteien CDU und SPD nach 1983 aufweichten. Nun kam es aber keineswegs zu einem einseitigen Bündnis mit der SPD. Vielmehr wurden mit wechselnden Mehrheiten gearbeitet, sehr zum Unmut der Verwaltungsspitze, die als Gegenstrategie gelegentlich einen “Geheimrat” aus “Vertrauensleuten” von SPD und CDU zusammenrief, was natürlich in einer Kleinstadt nicht verborgen blieb. Die MD/AL bekam dadurch zusätzlich Gelegenheit, sich als Kraft zu profilieren, die “Mauschelpolitik” entlarven und ein “gläsernes Rathaus” fordern konnte.
Mit 14% wurden 1985 die selben drei Personen wie schon fünf Jahre zuvor für die MD/AL in den Rat gewählt. Daraus entstand eine für das grün-alternative Spektrum ungewöhnliche neunjährige personelle Kontinuität in der Gremienarbeit. Dies und der zunehmend stärker werdende Substanzverlust der anderen Gruppierungen führten dazu, dass die Gruppierung zunehmend die “Lufthoheit in Sachfragen” errang und mit geschickten strategischen Operationen zahlreiche inhaltliche Erfolge erzielte, die andernorts häufig erst Jahre später möglich wurden. Einige Stichworte: Mülldifferenzierung, landwirtschaftliches Ökologieprogramm, Umweltbeauftragte, erste kleinstadtbezogene Jugendhilfeplanung in der Bundesrepublik, kommunale Jugendförderung, reduzierte Gruppengrößen in den Kindergärten, flächendeckende Verkehrsberuhigung in den Wohngebieten, dezentrale Abwasserversorgung. Dem Erfolg in der Gremienarbeit stand der faktische Zusammenbruch des alten außerparlamentarischen Bündnisses entgegen. 1986 wurde das erfolgreiche Projekt alternative Stadtzeitung eingestellt, von der jede Nummer in Auflagenhöhe von 1000 Exemplaren zwischen 1977 und 1985 im Kneipen- und Straßenverkauf abgesetzt wurde. Viele der örtlichen Aktivgruppen lösten sich auf, auch das linke Zentrum “Wespennest” wurde aus Mangel an interessierten Nutzergruppen abgestoßen. Alternative Kommunalpolitik begann etabliert zu werden. Immerhin kam es in dieser Phase noch mehrfach zu Bürgerentscheiden, welche mit einer Ausnahme im Sinne der Initiativen entschieden wurden.
Bei der Gemeinderatswahl 1994 verzeichnete die MD/AL den Zuwachs von 6%, gewann annähernd 20% der Wählerstimmen und war im neuen Gemeinderat mit fünf Sitzen vertreten. Der damalige Fraktionsvorsitzende Dr. Titus Simon stellte sich zum 4. Mal zur Wahl und ließ mit der erzielten Stimmenzahl sämtliche CDU-Größen hinter sich, ein für Baden-Württemberg ungewöhnliches Ereignis.
Allerdings war die zweite Hälfte der 90er Jahre durch eine bis dahin nicht gekannte Fluktuation gekennzeichnet. Das langjährige „Zugpferd“ der Fraktion, Dr. Titus Simon, trat 1997 aus beruflichen Gründen ab, dessen Nachfolger im Fraktionsvorsitz, Wolfgang Samtner, trat zwei Jahre später nicht mehr an. Nur ein Mitglied der fünfköpfigen Fraktion, nämlich Bernd Messinger, der im Jahr 1997 für Dr. Titus Simon nachrückte, trat bei den Wahlen des Jahres 1999 an und musste mit absolut unerfahrenen Kandidaten den Wahlkampf bestreiten. Es ist somit kein Zufall, dass bei dieser Wahl ein Verlust von fast 7% zu verzeichnen war. Die Arbeit im Gemeinderat hat sich dadurch geändert. Der jahrelange Kampf gegen das Establishment ging über in den Versuch Gemeinsamkeiten mit der Verwaltung und den anderen Fraktionen zum Wohle und im Sinne der Stadt Murrhardt zu finden. So steht die dreiköpfige Fraktion, mit Bernd Messinger als Fraktionsvorsitzender und seinen beiden Fraktionskolleginnen Sabine Burkhardt und Sabine Dietrich, scheinbar nur noch in geringem Umfang in der Tradition der „alten“ MD/AL und gerät in den Ruf „grünennah“ zu sein. Bei genauerer Betrachtung aber sind neben den Finanzen einer Stadt wichtige Punkte wie Ökologie und Umwelt, kommunale Jugendförderung, Kinderbetreuung, Ganztagesschule, Integration und interkultureller Dialog wie schon zur Gründerzeit zentrale Themen der MD/AL-Fraktion.
Für die Wahl im Juni 2004 waren weitere Einbußen zu erwarten. Der Gemeinderat hat beschlossen, die Anzahl der Mitglieder im Gemeinderat von 22 Mitglieder auf 18 zu reduzieren. Die Chancen, weiter mit drei Fraktionsmitglieder im Gemeinderat vertreten zu sein, scheint zu schwinden. Aber durch eine gute Kandidatenliste und eine hervorragende Werbung ist es entgegen allen Erwartungen gelungen, wieder mit drei Sitzen im Murrhardter Gemeinderat vertreten zu sein. Mit 18,3 % der Wählerstimmen und dem damit zweitbesten Wahlergebnis für die MD/AL wurde die Fraktion für ihre bisherige Arbeit belohnt. Die Fraktion arbeitete noch ein Jahr in der Zusammensetzung der vorherigen Legislaturperiode. Im Juli 2005 trat Bernd Messinger aus beruflichen Gründen vom Amt des Stadtrates zurück, Nachfolger wurde Ludwig Franke. Sabine Dietrich übernahm den Fraktionsvorsitz.
Das Ziel bei der Wahl 2009 war, erneut mit drei Mandaten im neuen Gemeinderat vertreten zu sein. Nachdem nun leider Sabine Burkhardt nicht mehr zur Wahl angetreten war, hatten wir anfänglich Schwierigkeiten, genug KandidatInnen zu finden. Nach einigen Überredungskünsten haben wir es dann aber wieder geschafft, mit 18 KandidatInnen in den Wahlkampf zu gehen.
Das Wahlergebnis war das beste in der MD/AL -Geschichte. Mit 19,1% der abgegebenen Stimmen haben wir es wieder geschafft, mit drei Sitzen im Murrhardter Gemeinderat vertreten zu sein. Gerd Linke wurde für Sabine Burkhardt in das Gremium gewählt.
Im Laufe des Jahres 2011 teilte uns Sabine Dietrich mit, dass sie aus persönlichen Gründen aus dem Gemeinderat ausscheiden möchte. Im Juli 2011 stellte sie einen Antrag auf Ausscheiden aus dem Gemeinderat, dem das Gremium dann auch zustimmte. Nachfolger wurde Hartmann Widmaier. Ludwig Franke übernahm den Fraktionsvorsitz.
Alte Wahlprogramme:
Programm zur Kommunalwahl 2004
Programm zur Kommunalwahl 2009
Die Mitglieder der MD/AL-Fraktion seit 1980:
Zeitraum | Gewählte | Fraktionsvorsitzende / Stellvertreter |
1980 bis 1984 | Wolfgang Radlewitz Herbert Schilling Dr. Titus Simon | Herbert Schilling / Dr. Titus Simon |
1984 bis 1989 | Wolfgang Radlewitz Herbert Schilling Dr. Titus Simon | Herbert Schilling / Dr. Titus Simon |
1989 bis 1994 | Wolfgang Radlewitz (bis 1992) Wolfgang Samtner Dr. Titus Simon Nachrücker 1992: Herbert Wieland | Bis 1992: Dr. Titus Simon / Wolfgang Radlewitz Ab 1992: Dr. Titus Simon / Wolfgang Samtner |
1994 bis 1999 | Carola Albert Natalie Schlichte-Dieterich Wolfgang Samtner Dr. Titus Simon (bis 1997) Herbert Wieland (bis 1994) Nachrücker 1994: Gabriele Böck Nachrücker 1997: Bernd Messinger | Bis 1997: Dr. Titus Simon / Wolfgang Samtner Ab 1997: Wolfgang Samtner / kein Stellvertreter |
1999 bis 2004 | Sabine Burkhardt Sabine Dietrich Bernd Messinger | Bernd Messinger / Sabine Dietrich |
2004 bis 2009 | Sabine Burkhardt Sabine Dietrich Bernd Messinger (bis 2005) Nachrücker 2005: Ludwig Franke | Bis 2005: Bernd Messinger / Sabine Dietrich Ab 2005: Sabine Dietrich / Ludwig Franke |
2009 bis heute | Sabine Dietrich (bis 2011) Ludwig Franke Gerd Linke Nachrücker 2011: Hartmann Widmaier | Bis 2011: Sabine Dietrich / Ludwig Franke Ab 2011: Ludwig Franke / Gerd Linke |